Musikalische Schatzsuche

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Die Musikabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz ist die größte in Deutschland und gehört zu den bedeutendsten Musikaliensammlungen der Welt. Über 66.000 Musikhandschriften und -autographe, 60.000 Musikerbriefe, 180 Musikernachlässe und Sondersammlungen, 430.000 Musikdrucke, 80.000 Bücher, 15.000 Textbücher, 35.000 Tonträger und rund 8.000 Bildnisse gehören zu den Beständen.

Nach der Vereinigung der “Deutschen Staatsbibliothek” und der “Staatsbibliothek - Preußischer Kulturbesitz” zur “Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz” ist die Musikabteilung zunächst noch in zwei eigene Bereiche geteilt - einen im Haus 1 (Unter den Linden) und einen weiteren im Haus 2 (Potsdamer Straße).

Der berühmte Berliner Musikwissenschaftler und Chorleiter Carl Friedrich Zelter (1758-1832) gab bereits 1824 die Anregung zur Bildung einer eigenen Abteilung, und noch im gleichen Jahr wurde der erste geschlossene Musikalienbestand von der damaligen Königlichen Bibliothek erworben.

Mit der Einstellung eines Kustos am 2. Mai 1842 schlug dann die eigentliche Geburtsstunde der Musikabteilung.

Zu den wertvollsten Besitztümern gehören die Autographe hochberühmter Werke der Musikliteratur, so z. B. von Johann Sebastian Bach (1685-1750) die Messe in h-moll, die beiden großen Passionen und die “Brandenburgischen Konzerte”, sechs der sogenannten “Londoner Sinfonien” von Joseph Haydn (1732-1809), die “Jupiter-Sinfonie” und fast alle großen Opern Wolfgang Amadeus Mozarts (1756-1791), der “Freischütz” von Carl Maria von Weber (1786-1826) sowie von Ludwig van Beethoven (1770-1827) die “Missa Solemnis” und die Sinfonien IV, V, VIII und IX.

In sich geschlossene Sammlungen bilden die Autographe und Handschriften Georg Philipp Telemanns (1681-1767), die Nachlässe von Luigi Cherubini (1760-1842), E. T. A. Hoffmann (1776-1822), Giacomo Meyerbeer (1791-1864) und Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847). Letzterem widmet sich auch das “Mendelssohn-Archiv”, das der Abteilung angegliedert ist und auf eine Stiftung Hugo von Mendelssohn Bartholdys, des Urenkels des Komponisten, zurückgeht.

Überregionale Bedeutung haben auch die Sammlungen älterer Musik: Handschriften in Mensuralnotation und mit Musik aus dem 18. Jahrhundert.

Eine Vielzahl wahrer Schätze gilt es noch zu heben: Man kann unbekannte Werke bekannter Meister entdecken, die aus heute nicht mehr erforschbaren Gründen entweder gar nicht oder nur ein- bis zweimal aufgeführt wurden. Hier seien Namen wie Lortzing, Weber, E. T. A. Hoffmann, Boccherini, C. Ph. E. Bach, Quantz, Friedrich II., Grell, Fasch oder Zelter genannt. Der Fundus dieser Werke, die nicht etwa nur aus qualitativen Gründen unbekannt blieben, gilt neben der unmittelbaren Musikforschung vor allem als interessantes Neuland für Opernhäuser, Orchester, Verlage sowie Rundfunksender und Schallplattenfirmen.

Im folgenden einige Beispiele, die einen kleinen Einblick in die Vielfalt der Archive geben und vielleicht eine Anregung zu weiterer Recherche sein können.

Von Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788), dem wohl bedeutendsten Sohn des Thomas-Kantors, besitzt die Musikabteilung unter anderem die Kantate “Phillis und Thirsis”, die in Berlin 1766 uraufgeführt wurde. Des weiteren sei das Oratorium “Auferstehung und Himmelfahrt Jesu” für drei Soli, gemischten Chor und Orchester genannt, das in den 80-er Jahren von Rundfunk-Sinfonieorchester und Rundfunk-Chor Berlin im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt wiederaufgeführt wurde und einen beachtlichen Erfolg hatte. Erwähnenswert ist auch das “Concerto doppio” in F-Dur für Cembali und Orchester.
Ein besonderer Komplex interessanter, unveröffentlichter Werke ist die sogenannte “Königliche Hausbibliothek”, in der man beispielsweise Militärmärsche und Flötensonaten aus der Feder Friedrichs des II. (1712-1786) findet. Außerdem enthält diese Sammlung “Eigenhändige Marschkompositionen Sr. Majestät des Königs Friedrich Wilhelm III.” (1770-1840).

Carl Friedrich Fasch, von 1791-1800 Gründungsdirektor der Berliner Singakademie, ist neben vielen anderen Stücken mit einem “Fünffachen Kanon für 25 Stimmen” vertreten sowie mit einer “16-stimmigen Messe für vier Chöre und Basso continuo”.

Eduard Grell, von 1851 bis 1876 ebenfalls Direktor der Singakademie, schrieb für Sankt Nikolai zu Weihnachten 1830 eine “Liturgie für sechs Solostimmen”, die aus unbekannten Gründen unaufgeführt blieb. Zur Feier des 50-jährigen Bestehens der Singakademie am 24. Mai 1841 komponierte Grell das Lied “Jo hoch in jubilo” für vierstimmigen gemischten Chor, Soli und Tutti.

E. T. A. Hoffmann, Dichter, Komponist, Maler, preußischer Beamter und Berliner Original, verfasste 1799 das Singspiel ”Die drei Masken” und im Jahre 1805 eine “Messe in D” und ein “Quintett in C für zwei Violinen, Viola, Violoncello und Harfe”. Alles Werke, die Hoffmann im Stile Mozarts komponierte, den er glühend verehrte.

Für Werke von Carl Maria von Weber hat sich die Musikabteilung heute zur zentralen Forschungsstätte entwickelt. Der Urenkel des Komponisten, Freiherr Hans-Jürgen von Weber, übereignete dem Institut wichtige Dokumente aus Familienbesitz. Zu den unbekannten Werken des Freischütz-Komponisten gehören die “Six Pièces pour la pianoforte à quattre Mains” von 1809, außerdem das “Grand Quintett für Klarinette, zwei Violinen, Viola und Violoncello B-Dur” von 1815.

Johann Joachim Quantz (1697-1773), der Flötenlehrer Friedrichs des II:, schrieb für sein Instrument eine große Zahl Concerti und Sonaten, alle mit hohem virtuosem Anspruch. Die Musikabteilung besitzt diese gefälligen Kompositionen innerhalb der Königlichen Hausbibliothek.

Der vor allem wegen seiner Opern “Zar und Zimmermann” und “Der Wildschütz” gerühmte Komponist Albert Lortzing (1801-1851) schrieb nach der Dichtung Schillers die Männerchöre “An den Frühling” und “Willkommen, schöner Jüngling”.

Der Name Carl Friedrich Zelter erscheint in den Katalogen der Musikabteilung häufig. Von 1800 bis 1832 war er einer der Direktoren der Singakademie und komponierte für die unterschiedlichsten Anlässe. Erwähnt seien die Motette “Der Mensch lebt und bestehet”, die Glosse “Keck fang ich mit der Staatskunst an”, das Geburtstagsständchen “Der Strauß, den ich gepflücket” oder der Psalm “Hallelujah, lobet den Herrn” für vier Singstimmen, Orchester und Orgel, der zur Einweihung der Orgel in der Sankt-Georgen-Kirche aufgeführt wurde.

Luigi Boccherini (1743-1805), Spezialist für gefällige Kammermusik, erscheint im Rahmen der Königlichen Hausbibliothek mit dem “Divertimento oder Quintetto del Fandango” in D-Dur, den sechs Quintetten Opus 13, u. a. mit “L’ucceliera” (“Das Vogelhaus”) und “Pastori e cacciatori” (“Hirten und Jäger”) und dem “Quintettino in C” Opus 1, Nr. 6, zu dem Boccherini folgende schriftliche Erläuterung gab: “Dies Quintetto stellt die Musik dar, die abends durch die Straßen von Madrid zieht, von der Ave-Maria-Glocke bis zum Zapfenstreich. Alles, was nicht den Regeln der Komposition entspricht, möge der Wahrheit der Sache halber, die dargestellt werden soll, verziehen werden”.

Man wird ohne Mühe erkennen, dass es in der Musikabteilung der “Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz” noch viel zu entdecken gibt. Gewiss gibt es auch Stücke, die eine öffentliche Aufführung nicht oder nur bedingt rechtfertigen - aber es dürfte sich gewiss lohnen, genauer nachzuforschen, um den Konzertprogrammen einige neue Nuancen hinzuzufügen.

Horst Fliegel



Erschienen in “Berlinische Monatsschrift”, Luisenstädtischer Bildungsverein e. V., Mai 1995