Ein Leben wie ein Sommernachtstraum

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847)

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Jacob Ludwig Felix Mendelssohn Bartholdy wurde am 3. Februar 1809 als Sohn des Bankiers Abraham Mendelssohn (1776-1835) in Hamburg geboren. Sein Großvater war der berühmte Aufklärungsphilosoph Moses Mendelssohn (1728-1786), dem Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) in seinem Drama “Nathan der Weise” ein Denkmal setzte. Als Felix zwei Jahre alt war, übersiedelte die Familie nach Berlin, das seine eigentliche Heimat werden sollte. Der Vater trat vom jüdischen zum protestantischen Glauben über, um seine Anerkennung als emanzipierter Bürger zu sichern. Der Schwager Jacob Salomon Bartholdy (1779-1825), preußischer Diplomat, regte an, als sichtbares Zeichen dieses Schrittes den Beinamen Bartholdy anzunehmen.

Felix wuchs in wohlhabenden Verhältnissen auf und genoss eine umfassende Bildung. Karl Wilhelm Heyse (1797-1855), Sprachforscher und Vater des Dichters und Schriftstellers Paul Heyse (1830-1914), unterrichtete ihn als Privatlehrer in den allgemeinen Fächern. Und kein Geringerer als Karl Friedrich Zelter (1758-1832), Direktor der Berliner Singakademie, Professor und Mitglied der Akademie der Künste, lehrte ihn das Komponieren.

Wie sich bald herausstellen sollte, hat Felix bei ihm eine Menge gelernt. Bereits im Alter von zehn Jahren schrieb er beachtliche Kompositionen, die erst in neuerer Zeit eine gerechte Würdigung fanden.

Die “Sonntagsmusiken” im Elternhaus in der Leipziger Straße 3, damals weit abseits vom städtischen Trubel und nahe dem Potsdamer Tor, boten ihm und seiner begabten Schwester Fanny (1805-1847) Gelegenheit, bedeutende Künstler und Wissenschaftler dieser Zeit kennen zu lernen: u. a. Chopin, Moscheles, die Brüder Schlegel, Heine, Bettina von Arnim, das Schauspielerehepaar Devrient, Alexander und Wilhelm von Humboldt, Liszt, Paganini, Weber, Hegel und Gounod.

Im Alter von 17 Jahren schrieb er sein erstes Meisterwerk, die Ouvertüre zum “Sommernachtstraum” von Shakespeare. Dies war ein genialer Wurf, zumal in diesem glanzvollen Stück bereits sein persönlicher Stil erkennbar wurde. Drei Jahre später erwarb er sich mit der Wiederaufführung der “Matthäus-Passion” von Johann Sebastian Bach wahrhaft musikhistorische Verdienste.

Mendelssohn Bartholdy unternahm schon in jungen Jahren zahlreiche Reisen, so 1821 zu Goethe nach Weimar, 1822 in die Schweiz, 1825 mit dem Vater nach Paris, wo er mit dem Komponisten Luigi Cherubini (1760-1842) zusammentraf, der ihn sehr in seinen musikalischen Ambitionen bestärkte. Später besuchte er England, Schottland, Italien und wieder Frankreich. Bereits 1826 hatte er sich an der Berliner Universität immatrikulieren lassen und hörte hier die Vorlesungen Hegels zur Ästhetik und Gans’ zur Geschichte der Freiheitsbewegungen sowie zur Französischen Revolution. Nach dem Tode Zelters im Jahre 1832 kandidierte er für das Amt des Dirigenten der Berliner Singakademie, verlor jedoch gegen Carl Friedrich Rungenhagen (1778-1851). Aber der Erfolg des im Zusammenhang mit der Dirigentenwahl veranstalteten Benefizkonzertes brachte ihm den Auftrag zur Leitung des Niederrheinischen Musikfestes in Düsseldorf 1833. Dort wurde er städtischer Musikdirektor und setzte sich für die Wiederaufführung Händelscher Oratorien ein. 1835 folgte Mendelssohn Bartholdy dem verlockenden Ruf als Gewandhauskapellmeister nach Leipzig. Unter seiner Leitung erfuhren die Konzerte einen beachtlichen Aufschwung, woraus der spätere Weltruhm des Klangkörpers erwuchs. 1836 ernannte ihn die Leipziger Universität zum Dr. phil. h. c. - 1837 heiratete wer Cécile Jeanrenaud, die Tochter eines schweizerischen Hugenottengeistlichen. Der Ehe entstammten fünf Kinder.

Der zwischen 1841 und 1843 unternommene Versuch König Friedrich Wilhelms IV., den berühmtesten Komponisten seiner Zeit an die Residenzstadt Berlin zu binden, hatte nur wenig Erfolg. Zwar komponierte er im Auftrag des Hofes mehrere Schauspielmusiken, so u. a. zu den antiken Dramen “Antigone” und “Ödipus”. Aber man übertrug ihm auch die Reorganisation des Domchores, die ihm jedoch wegen der konservativen Haltung kirchlicher Behörden nicht gelingen konnte. Er ging wieder nach Leipzig und realisierte dort 1843 eine Lieblingsidee: Er gründete das Konservatorium, an dem neben ihm auch Robert Schumann und Ignaz Moscheles unterrichteten. Im gleichen Jahr machte man ihn zum Leipziger Ehrenbürger. 1846 folgte die letzte von insgesamt zehn Reisen nach England. In Birmingham wurde sein Oratorium “Elias” mit überragendem Erfolg uraufgeführt. Ein Jahr später starb seine geliebte Schwester Fanny, was ihn physisch und psychisch zutiefst belastete.

Am 4. November 1847 erlag er in Leipzig einem Gehirnschlag. Eine der Todesursachen war zweifellos auch eine völlige Überarbeitung.

Mit einem Sonderzug überführte man den Leichnam nach Berlin, und unter großer öffentlicher Anteilnahme setzte man seine sterblichen Überreste auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof vor dem Halleschen Tor bei. Dass während der Totenfeier - wie sonst bei Komponisten üblich, kein einziges Werk aus der Feder des Verstorbenen erklang, war eine letzte Beleidigung seitens der Berliner.

Obwohl Felix Mendelssohn Bartholdy nur 38 Jahre alt wurde, hinterließ er doch eine beachtliche Zahl musikalischer Werke. Während er zu Lebzeiten als Komponist hochgeschätzt war, erfuhr sein künstlerischer Nachlass in der Folgezeit die unterschiedlichsten Wertungen.

Von begeisterter Anerkennung über Missachtung bis hin zu Totschweigen reichte die Skala. Der von Richard Wagner (1813-1883) hochgespielte Antisemitismus in der Musikbetrachtung trug wesentlich dazu bei, dass viele bedeutende Kompositionen Mendelssohn Bartholdys zu Unrecht in Vergessenheit gerieten. Während der Zeit des faschistischen Regimes wurde keines seiner Werke öffentlich aufgeführt.

Nach 1945 erfolgte eine Wiederbelebung seines Schaffens im deutschsprachigen Raum, und ein wissenschaftliches Mendelsohn-Bild, auf neuen Forschungen basierend, entstand. Seit 1958 gibt es mit Sitz in Basel die “Internationale Felix-Mendelssohn-Gesellschaft” einschließlich einer Gedenk- und Forschungsstätte. Der musikalische Nachlass, der nach dem Zweiten Weltkrieg noch 42 Bände umfasste, befindet sich seit 1878 in der Musikabteilung der Berliner Staatsbibliothek. In deren Haus II in der Potsdamer Straße wurde ein “Mendelssohn-Archiv” eingerichtet, das der Musikabteilung angegliedert ist und auf eine Stiftung Hugo von Mendelssohn Bartholdys, des Urenkels des Komponisten, zurückgeht. Dieses Archiv ist der gesamten Familie Mendelssohn gewidmet. Teile des persönlichen Nachlasses des Komponisten verwaltet die Universitätsbibliothek Oxford, und eine umfangreiche Briefsammlung ist im Besitz der New York Public Library. Zur Förderung junger Musikstudenten gibt es in Berlin jährlich das von einer Jury vergebene Mendelssohn-Stipendium.

Im früheren Schaffen Felix Mendelssohn Bartholdys findet man unschwer die Spuren Mozarts und Beethovens, auch die melodischen Diktionen Schuberts und Webers sind deutlich zu erkennen. Doch bald hatte Mendelssohn eine unverwechselbare Tonsprache gefunden, die ihn als “musikalischen Landschaftsmaler” charakterisiert und geprägt ist von melancholischen, liedhaften, verinnerlichten Farben. Aber ebenso findet sich schillernde, überschäumende, brillante Lebensfreude. Er hinterließ 20 Sinfonien, wovon die “Reformations-Sinfonie”, die “Italienische” und die “Schottische” als bekannteste gelten. Zur Weltliteratur gehören auch die Ouvertüren “Meeresstille und glückliche Fahrt”, “Die Hebriden” und, schon erwähnt, die zum “Sommernachtstraum”.

Wahrhaft weltberühmt wurde sein Violinkonzert von 1844 mit dem glanzvollen, beschwingten ersten Satz, der Kantilene des zweiten und dem geistsprühenden dritten Satz. Interessant ist, dass er in diesem Werk wiederum den “Sommernachtstraum” anklingen ließ.

Nicht minder beliebt, aber gewissermaßen in der “kleinen Form” angesiedelt, wurden seine “Lieder ohne Worte” für Klavier. Acht Folgen schrieb er davon, und alle gehören sie zum Repertoire jedes guten Pianisten. Besondere Erwähnung verdienen seine Lieder für eine Singstimme und Klavier sowie seine Oratorien “Paulus” und “Elias”. Alle Werke, die hier genannt wurden, sind fester Bestandteil der nationalen und internationalen Konzertpläne. - Übrigens entstammen auch Volkslieder seiner Feder, so “Leise zieht durch mein Gemüt” (Text von Heine) und “O Täler weit, o Höhen” (Text von Eichendorff).

Eine Facette in seiner künstlerischen Tätigkeit blieb weithin unbekannt: Felix Mendelssohn Bartholdy war auch ein begabter Maler und Zeichner. So schuf er nur wenige Monate vor seinem Tode anlässlich einer Schweiz-Reise 13 Aquarelle, auf denen u. a. Luzern, Schaffhausen, Thun, Interlaken und das Berner Oberland dargestellt sind.

Leben und Schaffen Felix Mendelssohn Bartholdys gleichen in gewisser Weise einem Sommernachtstraum: phantastisch, intensiv, poesievoll, vergänglich. Die gleichnamige Ouvertüre hatte ihn über Nacht berühmt gemacht und wurde für ihn zum Leitmotiv. Mit der Naturmalerei, dem Waldesrauschen, dem Wunder der Mondnacht und dem Wispern der Nixen und Elfen hatte er ein Werk geschaffen, das in seiner märchenhaften Poesie eines der schönsten der musikalischen Romantik wurde.

Horst Fliegel



Erschienen in “Berlinische Monatsschrift”, Luisenstädtischer Bildungsverein e. V., November 1995