Zelter wird Musik-Professor

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In der Chronik der 1696 kraft kurfürstlichen Erlasses gegründeten Königlichen Akademie der Künste zu Berlin verdient der 17. Mai 1809 besondere Erwähnung. An diesem Tage nämlich wurde Carl Friedrich Zelter, seit 1806 Ehrenmitglied des erlauchten Gremiums, zum Professor für Musik ernannt. So prominente Zeitgenossen wie Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) und Wilhelm von Humboldt (1767-1835) hatten sich mit Nachdruck für diese Professur eingesetzt. Humboldt war Leiter des damals neu geschaffenen "Departements für Kultus und öffentlichen Unterricht" bei der preußischen Regierung. Einen Musikprofessor hatte es bis dato noch nicht gegeben. Die Ernennung Zelters war die Ehrung einer Persönlichkeit, die das Musikleben in Berlin und weit über Preußens Grenzen hinaus entscheidend prägte, und zugleich ein geschickter Schachzug, mit dem man einen erfahrenen Mann in die Pflicht nahm.

Wer war nun dieser Zelter, woher kam er, worin bestehen seine Verdienste und warum ist sein Wirken noch heute für uns von Bedeutung?

Carl Friedrich Zelter wurde am 11. Dezember 1758 in Berlin geboren. Einige Biographen nennen Petzow bei Werder als Geburtsort. Diese Angabe beruhte aber auf militärdienstlichen Gründen und entspricht nicht der Wahrheit. Sein Vater stammte aus der Dresdener Gegend und war ein wohlhabender Bauunternehmer, dessen Firma sich in der Münzstraße 1, nahe dem Alexanderplatz, befand. Carl Friedrich erhielt bis zu seinem 14. Lebensjahr Hausunterricht, besuchte dann das Joachimsthalsche Gymnasium, absolvierte eine Maurerlehre und ging gleichzeitig auf die Königliche Zeichenakademie. 1787 übernahm er nach dem Tode des Vaters dessen Geschäft. Das von Zelter junior umgebaute Haus Brüderstraße 13 im Stadtbezirk Mitte hat den 2. Weltkrieg überstanden und ist Zeugnis seines handwerklichen Könnens. In diesem Gebäude, dem "Nicolai-Haus", wohnten Christoph Friedrich Nicolai (1733-1811), Verlagsbuchhändler und Schriftsteller, sowie der Dichter und Kämpfer der Freiheitskriege Theodor Körner (1791-1813). Zum 200. Geburtstag Zelters im Jahre 1958 brachten die Akademie der Künste und der damalige Berliner Magistrat eine bronzene Gedenktafel an, die auf dessen baumeisterliche Leistung hinweist.

Mit der Musik kam Zelter bereits als Kind in Berührung. Ab 1774 erhielt er Violinunterricht und wirkte 1786 als Konzertmeister bei der Berliner Aufführung des "Messias" von Georg Friedrich Händel (1685-1759) mit. Seine erste Komposition entstand 1782. Um sich das erforderliche Rüstzeug eines Tonsetzers anzueignen, nahm er zwischen 1784 und 1786 insgesamt 168 Lektionen bei Carl Friedrich Fasch (1736-1800), dem ersten Direktor der Berliner Singakademie. 1791 trat Zelter in dieses Institut ein und wurde im Jahre 1800 Nachfolger Faschs als Direktor. Er verstand es, aus der Berliner Singakademie binnen kurzer Zeit die führende Einrichtung Deutschlands für die Pflege älterer Kirchenmusik zu machen. Dabei stand das Chorwerk Johann Sebastian Bachs (1685-1750) im Mittelpunkt. Wenn man bedenkt, dass zu Beginn des 19. Jahrhunderts dieser bedeutendste deutsche Barockkomponist fast vergessen war, so ist das Wirken Zelters und der Singakademie umso höher einzuschätzen. 1807 gründete er ein "Collegium musicum", das als Orchesterschule für ältere Musik gleichsam eine Nebenabteilung der Singakademie war. 1809 rief er die "Berliner Liedertafel" ins Leben, einen Männergesangverein, der bis in unsere Zeit beispielgebend blieb. Der Chor existiert heute noch und probt im Nachbarschaftsheim in der Urbanstraße 21 in Kreuzberg. Im Keller des Hauses befindet sich ein Archiv, das wertvolle Zeugnisse aus der großen Vergangenheit enthält.

Im Jahre 1806 war Zelter während der französischen Besetzung von den Bürgern Berlins in das Comité administratif gewählt worden, dem zahlreiche Verwaltungsaufgaben übertragen waren und das einer Stadtregierung gleichkam. Seinen Beruf als Baumeister hing er 1815 endgültig an den Nagel. Er trat im gleichen Jahr sogar aus der Berliner Maurerinnung aus.

Seit 1803 hatte Zelter scharfzüngige Denkschriften veröffentlicht, in denen er sich mit dem öffentlichen Musikleben beschäftigte. Eines dieser Memoranden behandelte die Vertretung der Musik in der Akademie der Künste: "...zu der Auffassung dieser ganzen Kunst, sind bey der hiesigen Akademie der Künste und Wissenschaften die meisten Fächer besetzt, doch es gibt Eins derselben, welches gänzlich fehlt: Es ist die Tonkunst...Mein unmaßgeblicher Vorschlag also an Ew. Hochfreyherl. Excellenz ginge demnach dahin: Bey der Akademie der Künste, einen öffentlichen Lehrer der gesamten Tonkunst anzustellen, der die Pflicht auf sich hätte, dieses Institut zu dirigieren und zu erhalten". Im heutigen Sprachgebrauch würden wir sagen, Zelter betätigte sich als Musikpolitiker. Er ließ noch zwei weitere Denkschriften ähnlichen Inhalts folgen und - wurde Musikprofessor an der Akademie der Künste. Aber er erreichte noch mehr: Institute für Kirchen- und Schulmusik entstanden in Königsberg (1814), Breslau (1815) und Berlin (1822). Auf Zelters Anregung hin wurde an der Königlichen Bibliothek eine Musikabteilung eingerichtet, die heute eine der größten in Europa ist. 1827 erhielt die Berliner Singakademie ein eigenes Gebäude, das nach Skizzen Karl Friedrich Schinkels (1781-1841) entworfen worden war und in dem zahlreiche musikhistorisch bedeutsame Konzerte stattfanden, so 1829 die erste Wiederaufführung der Matthäus-Passion nach Bachs Tod, 100 Jahre nach der Uraufführung, durch Felix Mendelssohn Bartholdy. 1830, im Alter von 72 Jahren, gründete er an der Königlichen Universität ein studentisches "Collegium musicum vocale". Zelters fachliche Kompetenz, seine Erfahrungen als Pädagoge und nicht zuletzt der hervorragende Ruf, den er genoss, bewogen die preußische Regierung, ihn als Berater und Inspizienten der öffentlichen Musikpflege zu beschäftigen. In dieser Eigenschaft war er auch an der Herausgabe des Choralbuches für Schulen beteiligt, das lange Zeit als beispielhaft galt.

Ein besonderes Kapitel im Leben des Carl Friedrich Zelter ist seine enge Freundschaft mit Goethe, die 1799 zunächst brieflich begann und zu 14 persönlichen Begegnungen führte. Goethe hatte zeitlebens nur einen Freund, mit dem er sich duzte, und dieser eine war Zelter. Der wohnte bei seinen Besuchen in Weimar stets im Hotel "Zum Weißen Schwan", das unmittelbar neben Goethes Wohnhaus am Frauenplan stand und noch heute dort steht. "Der Weiße Schwan begrüßt Dich jederzeit mit offenen Flügeln", so Goethe zu Zelter. Hier saßen die beiden manchen langen Abend beim Wein und führten ihre philosophischen Dispute. Es entwickelte sich zwischen diesen Treffen ein umfangreicher, intensiver Briefwechsel, der von Goethes Seite von Anfang an zur Veröffentlichung vorgesehen war. Goethe, der neben seiner dichterischen und staatsmännischen Tätigkeit bekanntlich auch naturwissenschaftlich arbeitete, plante ein "Tonlehre", ähnlich seiner "Farbenlehre". Dazu brauchte er einen verlässlichen Berater. Nach anfänglichem Werben um Friedrich Reichardt (1752-1814) wandte er sich Zelter zu. Die "Tonlehre" entstand zwar nicht, aber Goethe hatte den Mann gefunden, der ihm alle musikalischen Fragen beantworten konnte. Dass sich dabei auch subjektive Einschätzungen Zelters auf Goethe übertrugen, ist unbestritten. So waren der bereits genannte Johann Sebastian Bach, dessen Sohn Carl Philipp Emanuel (1714-1788) sowie Joseph Haydn (1722-1809) Lieblingskomponisten Zelters. Ludwig van Beethoven (1770-1827), Carl Maria von Weber (1786-1826) und Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) waren weniger geschätzt. Es scheint, als hätte sich Goethe von Zelter beeinflussen lassen. Aber das sind nur Facetten einer von gegenseitiger Achtung und Sympathie geprägten Männerfreundschaft. Goethe war von der "grundwackeren und trefflichen Natur des Baumeisters und Musikers" gefesselt. Zelter vertonte eine Vielzahl Goethescher Texte, vor allem dessen Lyrik. Und diese Lieder haben noch heute nichts von ihrem Reiz und dem hohen künstlerischen Wert verloren. Sie erklingen in den Konzertsälen der Welt, werden als Schallplatten gehandelt und sind in den Rundfunkprogrammen zu hören.

Carl Friedrich Zelter hatte an der Akademie viele persönliche Schüler, unter ihnen Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847), Carl Loewe (1796-1869), Otto Nicolai ( 1810-1849), Giacomo Meyerbeer (1791-1864), Eduard Grell (1800-1886) und Karl Friedrich Rungenhagen (1778-1851). Zahlreiche Söhne und Töchter des Berliner Bürgertums nahmen bei ihm privaten Unterricht.

Zelter galt als tüchtig und energisch, deftig und gelegentlich tyrannisch. Man schätzte seine Beharrlichkeit und Strenge sowie die Festigkeit, mit der er persönliche Schicksalsschläge meisterte (er verlor zwei Ehefrauen, die ihm neun Kinder geboren hatten). Die Freundschaft zu Goethe verlieh seiner Person einen besonderen Glanz. Zelter starb am 15. Mai 1832 in Berlin, nur wenige Wochen nach Goethe, als wäre mit dessen Tod auch seine Lebenskraft erloschen. Das Grab Zelters befindet sich neben der Sophienkirche, Große Hamburger/Ecke Sophienstraße in Berlin-Mitte. Die Grabrede hatte Friedrich Schleiermacher (1768-1834), Theologe, Philosoph und Hochschullehrer, gehalten.

Worin besteht die Bedeutung Zelters aus musikhistorischer Sicht? Sie besteht wohl vor allem in seiner Universalität, in der einmaligen Verschmelzung von Dirigent, Komponist, Pädagoge, Organisator und Musikpolitiker in seiner Person. Theorie und Praxis verbanden sich in seiner Arbeit auf vorbildliche Weise. Als Dirigent war er der praktizierende Musiker, der ungezählte Menschen für den Chorgesang gewann. Als Komponist war er Schöpfer unvergänglicher Lieder, so "Es war ein König in Thule" oder "Die Spröde". Seine Kompositionen für Männerchor, unter anderem "Hier sind wir versammelt zu löblichem Tun" oder "Wenn jemand eine Reise tut" gehören noch heute zum Repertoire vieler Sangesfreunde. Übrigens: ausgezeichnete deutsche Männerchöre erhalten eine nach ihm benannte Plakette. Als Pädagoge vermittelte er seine Erfahrungen und Erkenntnisse an Künstler weiter, von denen viele Weltruhm erlangten. Als Organisator verstand es Zelter, Strukturen wie die Singakademie oder die Liedertafel zu hohen Leistungen zu motivieren und ein effektives Konzertleben zu entwickeln. Als Musikpolitiker schließlich bewirkte er eine Reform des gesamten öffentlichen Musiklebens. Die Erneuerung des musikalischen Bildungswesens, die Nachwuchsförderung für Chöre und Orchester, die Einrichtung von Professuren für allgemeine Musiklehre, die Anregung zu vereinsmäßiger Musikpflege und vor allem die stetige Einwirkung auf die Entscheidungsgremien des Staates sind überzeugende Beispiele für sein erfolgreiches Wirken. Die Wissenschaft sieht in ihm einen Experten, der eine Schlüsselfunktion in der Musikgeschichte einnimmt, sowohl als Theoretiker wie als komponierender und dirigierender Mann der Praxis.

Carl Friedrich Zelter war der erste Musiker, der in die Königliche Akademie der Künste aufgenommen und von ihr sogar zum Professor ernannt worden war. Ein Jahr nach seinem Tode gründete man eine von ihm vorgeschlagene separate Musikabteilung, in die später Mendelssohn Bartholdy, Meyerbeer, Rungenhagen, Spontini, Cherubini, Spohr, Loewe, Grell, Liszt, Rossini, Berlioz, Wagner, Grieg, Puccini, Richard Strauss und viele andere als Mitglieder aufgenommen wurden. Aber am Anfang stand eben - Carl Friedrich Zelter.

Horst Fliegel


Quellen:

1. “...zusammenkommen, um von den Künsten zu räsonnieren"
Materialien zur Geschichte der Preußischen Akademie der Künste
Berlin, 1991
2. Die Musik in Geschichte und Gegenwart
Bärenreiter, Kassel, 1968
3. Carl Dahlhaus: Die Musik des 19. Jahrhunderts
Laaber, 1996




Erschienen in “Berlinische Monatsschrift”, Luisenstädtischer Bildungsverein e. V., Mai 1997